Weihnachten 2023 waren wir auf Fußballtour zum Boxing Day in England. Den betreffenden Artikel schloss ich seinerzeit mit dem Satz: “So etwas ähnliches werden wir in Zukunft bestimmt noch einmal angehen.” Oft verfällt solch ein schwammig formulierter Plan, manchmal jedoch wird er schneller in die Tat umgesetzt, als man selbst dachte.
So erging es uns. Relativ spontan und teilweise auf kuriosem Weg ergatterten wir Tickets für zwei Fußballspiele unter der Woche in England. Eines davon in Anfield, dem Stadion des FC Liverpool. Es gibt eine Handvoll Stadien auf der Welt, die für Fußballfans sozusagen oberstes Regal sind: z. B. das Camp Nou in Barcelona, der Signal Iduna Park in Dortmund, das Giuseppe-Meazza-Stadion in Mailand oder das Maracaná in Rio de Janeiro. Ich fand jedoch schon immer, dass Anfield nochmal eine Stufe höher steht, quasi die Deko über dem obersten Regal ist. Der Mythos Anfield hat sein eigenes Flair, kein Fußballtempel ist wie dieser. Anfield ist Anfield, alles andere sind nur Fußballstadien.
An einem Montagmorgen Anfang November starteten wir unseren Kurztrip. Von Hamburg aus flogen wir nach London Gatwick und rollten dann mit dem Gatwick Express in die City. Viel Zeit für Sightseeing hatten wir nicht. Da das Wetter aber so gar nicht “londonlike”, sondern recht schön war, machten wir zumindest einen Abstecher zum Monument. Wir zahlten unseren Eintritt von 6 GPB, erklommen die 311 Stufen bis zur Aussichtsplattform und genossen bei langsam untergehender Sonne den grandiosen Blick über die Stadt.
Als wir wieder unten waren, mussten wir uns schon ein wenig beeilen. Unser Hotel lag etwas außerhalb im Stadtteil Chiswick. Bis dort benötigten wir etwa eine Stunde und etwas essen wollten wir auch noch. Am Abend stand dann das erste Fußballspiel auf dem Programm. Das Montagsspiel der Premier League stieg im altehrwürdigen Craven Cottage, dem Stadion des FC Fulham, das direkt an der Themse liegt. Zu Gast war das Team aus dem nur fünf Themsebrücken flussaufwärts gelegenen Brentford. Unser “Vorprogramm” war also ein emotionsgeladenes Londoner Stadtderby zweier Tabellennachbarn (10. gegen 9.). Allein dieses Spiel hätte sich schon gelohnt: gute Stimmung (vor allem aus dem Gästeblock), Fußball mit sehr ansprechender Qualität und drei richtig schöne Tore. Zwei davon fielen – hoch dramatisch – erst in der Nachspielzeit.
Am nächsten Tag reisten wir mit dem Zug nach Liverpool, wo abends das Spitzenspiel der Champions League FC Liverpool gegen Bayer Leverkusen stattfinden sollte. Schon gegen 13 Uhr Ortszeit kamen wir an. Wir hatten also genügend Zeit für einen kleinen Stadtrundgang. Vom Bahnhof Limestreet spazierten wir durch die Stadt, immer Richtung Fluss, dem River Mersey. An den Docks und in der Stadt kreischten Möwen. Die Irische See ist nur einen Steinwurf weit entfernt.
Rechtzeitig machten wir uns am frühen Abend durch die quälende Rush Hour mit dem Bus Richtung Stadion. Dort angekommen gingen wir erst einmal in den Pub “The Sandon”, in dessen Räumlichkeiten der Liverpool Football Club im Jahre 1892 gegründet wurde. Eine bessere Location für einen Drink vor dem Match hätten wir uns nicht vorstellen können.
Anschließend ging es endlich hinein. Bei unserer Stadiontour vor knapp einem Jahr war Anfield schon beeindruckend, aber nun waren die Tribünen voll besetzt, Europapokal, Flutlichtatmosphäre – unbeschreiblich! Und spätestens als der legendäre Song “You’ll never walk alone” erklang und 60.000 Menschen lauthals mitsangen, erwachte der Mythos Anfield.
Bis heute hat noch keine deutsche Mannschaft ein Europapokalspiel in Anfield gewonnen und das sollte auch so bleiben. Mit einer taktisch guten Leistung hielt Bayer Leverkusen ein 0:0 bis zur Pause. In der zweiten Halbzeit wurden sie dann von den “Reds” überrollt. 4:0 hieß es am Ende für die englischen Gastgeber. Dem Kolumbianer Luiz Diaz gelangen dabei drei Tore, so dass dreimal der entsprechende Song von den Rängen geschmettert wurde (Melodie: Bella Ciao):
nanananana nanananana nananana-nanana-nana-na-na-na
Luiz Diaz, he’s from Barrancas, and he plays for Liverpool…
Gut ausgeschlafen nahmen wir am folgenden Tag zunächst ein sehr gutes britisches Frühstück, dann den Zug nach London und flogen wieder zurück nach Hamburg. Das Erlebte bleibt ganz sicher unvergessen, doch es braucht auch erstmal Zeit, um diese Eindrücke zu verarbeiten. You’ll never walk alone!